Wie berührt uns Musik

Wenn Rose im Film „Titanic“ an der Schiffsreling steht und von Jack zu Céline Dions „My Heart Will Go On“ geküsst wird, sind wir zu Tränen gerührt. Wenn wir einige Jahre später das Stück im Radio hören sind wir es immer noch. 
Aber warum nur? Weil die Musik traurig ist? Oder weil wir traurig sind? 
Sind wir traurig, weil uns das Lied an die Szene im Film erinnert oder an die Person mit der wir den Film gesehen haben (und evtl. nicht mehr zusammen sind)? Oder denken wir sogar an unsere eigene große Liebe?

Beschallung

Wie berührt uns Musik?

Dass Musik Emotionen weckt, ist wohl bekannt. Schon Victor Hugo sagte: „Musik drückt aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist“. Doch wie schafft sie das? Auf diese Frage hat die Wissenschaft mehrere Antworten.
Zum einen schafft Musik eine emotionale Bindung auf rein musikalischer Ebene. Dies geschieht durch das Wechselspiel von Spannung und Auflösung. Das funktioniert, da unser Gehirn beim Hören von Musik ständig herauszufinden versucht, wie das Stück weitergeht. Wie entwickelt sich die Melodie? Wie das Tempo oder die Lautstärke? Passiert im Musikstück nun etwas unvorhersehbares, wie ein abrupter Tempowechsel oder das Wegfallen eines Instruments, so baut dies Spannung auf. Der Puls steigt und der ganze Körper wird immer angespannter. 
Vergleichbar ist dies mit dem klassischen Cliffhanger im Film oder in der Literatur. Durch das abrupte verändern einer Szenerie, ohne die vorige vorher abgeschlossen zu haben (der Held stürmt im finalen Kampf auf den Bösen zu…Schnitt zu seiner Mutter die Blumen gießt), entsteht Spannung.
Aufgelöst wird diese Spannung erst wieder, wenn ein bekanntes Motiv aus dem Stück erneut gespielt wird. Dies ist zum Beispiel die Hauptaufgabe eines Refrains. Er erlöst uns vom „Stress“ der Strophe.

Weitere Faktoren dieser musikalischen Ebene sind unterschiedlich große Tonintervalle und Lautstärke, sowie Geschwindigkeitswechsel, je nach Grundstimmung des Musikstücks. Bei fröhlichen Stücken sind die Intervalle, also der Abstand zwischen dem tiefsten und dem höchsten Ton, größer. Gleichzeitig ändert sich sowohl das Tempo, als auch die Lautstärke häufig. Durch diese ganzen Wechsel wirkt das Stück „lebendiger“, was sich auch auf den Gemütszustand des Menschen überträgt. Zu etwas, was swingt und groovt kann…nein man will und muss sich dazu bewegen!
Bei trauriger Musik ist dies alles anders. Die Intervalle sind viel kleiner und es gibt kaum bis gar keine Veränderungen im Tempo oder der Lautstärke. So ruhig und getragen wie das Stück vor sich hin spielt, so ruhig und getragen (und meist nachdenklich) wird der Hörer.
 Ein Extremfall, der Emotionen auf die Musik übertragen kann, findet in Horrorfilmen Gebrauch. In einer der wohl bekanntesten Horrorfilmszenen in Alfred Hitchcocks „Psycho“ wird eine junge Frau in der Dusche erstochen. Das Grauen bahnt sich in Form eines Schattens des Messers an, welche von schrillen, hysterischen Geigen begleitet wird. Die Töne, die in dieser Szene gespielt werden, bezeichnet man als dissonante Töne oder Dissonanzen. Dissonanzen sind Gebilde aus mindestens zwei Tönen, die harmonisch nicht zusammenpassen und daher unerträglich schief und schrill klingen. Dies erinnert uns aus evolutionärer Sicht an Schreie und steigert dementsprechend unsere Aufmerksamkeit. Es versetzt uns regelrecht in Alarmbereitschaft. Deswegen sind sämtliche Warntöne wie z.B. Sirenen und Hupen dissonant.

Wie man sieht, beeinflusst positive Musik den Körper positiv und negative Musik den Körper negativ. Laut dem Psychologen Marcel Zentner von der Universität Innsbruck nutzen Menschen Musik dazu ihre Stimmung zu regulieren. „Viele Studien haben gezeigt, dass die Stimmungsregulation sogar einer der wichtigsten Gründe dafür ist Musik zu hören. Dabei tendieren Menschen dazu, Musik zu wählen, die kongruent mit ihrer Gefühlslage sind“. Das bedeutet, dass sie fröhlich Musik bevorzugen wenn sie sich selber traurig fühlen. Es bedeutet aber auch, dass wir, wenn es uns blendend geht, ruhige, getragene, traurige Musik bevorzugen.
Was auf den ersten Blick wie ein Fehler im menschlichen Verstand aussieht, ist psychologisch erklärbar. Wir verbinden mit trauriger und ruhiger Musik komplexe Assoziationen, wie Nostalgie, Ruhe und Zärtlichkeit. Hinzu kommt, dass Musik mit einer Geschwindigkeit von 70 bpm (beats per minute = Schläge pro Minute) sehr nahe an der menschlichen Herzfrequenz ist. Musik in dieser Geschwindigkeit wird als sehr angenehm empfunden.

Es lässt sich also eine Verbindung zwischen Musik und Gedächtnis nachweisen. Dies ist die zweite Ebene, auf der Musik es schafft, Emotionen zu erzeugen. Unseren stärksten Bezug haben wir demnach laut Lutz Jäncke, Neurowissenschaftler an der Universität Zürich, zu der Musik, die wir in unserer Jugend gehört haben. „Die wichtigsten emotionalen Regungen im Leben haben wir […] in der Jugendzeit“, so Jäncke. Björn Vickhoff vom Institut für Neurowissenschaften der Universität Göteborg schreibt in seiner Arbeit A Perspective Theory of Music Perception and Emotion ergänzend: „Musik erweckt starke Emotionen, wenn diese mit unserer ersten großen Liebe, unserem Zuhause, unserer Kindheit und unseren Eltern zusammenhängen“.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Musik auf zwei Arten Emotionen beim Menschen hervorrufen kann. Zum einen ist da die rein musikalische Ebene, in der wir auf die gespielte Musik und ihrem Klangbild aus Rhythmus, Tonalität und Geschwindigkeit mehr oder weniger direkt reagieren. Hier ist anzumerken, dass uns traurige Musik auch bei positiver Gefühlslage gut tut, da sie Ruhe, Gelassenheit und Entschleunigung ausstrahlt. 
Zum anderen weckt ein bestimmtes Musikstück oder Musik aus einer gewissen Epoche in uns Erinnerungen an genau diese Zeit. Besonders ist hierbei die Zeit des Erwachsenwerdens zu berücksichtigen, da wir in dieser Zeit besonders viel Erleben und verarbeiten. Deswegen werden Menschen, die beispielsweise in den 70er Jahren großgeworden sind, immer einen besonderen musikalischen Bezug zu diesem Jahrzehnt haben.

Musik im Verkauf

Dass Musik auf verschiedenen Ebenen unsere Emotionen weckt ist nun bekannt. Inwieweit kann sich dies der Einzelhandel zu Nutze machen?

Wie im vorherigen Teil angesprochen, empfinden Menschen ruhige Musik als positiv im Alltag. In seiner Studie aus dem Jahr 1982 untersuchte Ronald E. Milliman dieses Phänomen. Er lies in einem amerikanischen Supermarkt über mehrere Wochen mal mit schnellerer und mal mit langsamerer und mal ohne Musik beschallen. Die Geschwindigkeiten der beiden Musiken waren ein Schnitt von 72 bpm für die langsamere, sowie ein Schnitt von 94 bpm für die schnellere Musikwahl.
Er kam zu beeindruckenden Ergebnissen. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Kunden durch den Supermarkt bewegten variierte mit der Geschwindigkeit der Musik. War die Musik langsamer, so verbrachten die Kunden mehr Zeit im Supermarkt. Sogar noch mehr Zeit, als wenn gar keine Musik gespielt wurde. Dies zeigte sich auch im Umsatz. Bei langsamer Musik stieg dieser um 38% im Vergleich zur Beschallung mit schnellerer Musik. Beides lässt sich damit erklären, dass der Schnitt von 72 bpm der langsameren Musik sehr nahe an dem „menschlichen“ Rhythmus von 70 bpm liegt.
Wichtig ist hierbei aber auch die Lautstärke. Sie darf nicht zu leise sein, sonst wird die Musik nicht wahrgenommen. Sie darf aber auch nicht zu laut sein, da sie sonst als störend Empfunden wird.

Musik kann aber nicht nur Einfluss auf die Verweildauer und damit auf den Umsatz nehmen. Sie kann auch dazu genutzt werden, vor allem unentschlossene Kunden an bestimmte Artikel heranzuführen.
Dies zeigt eine Studie von Adrian North aus dem Jahr 1999. North analysierte das Kaufverhalten in der Spirituosenabteilung eines Supermarktes bei verschiedenen Musikstilen. Er fand heraus, dass Kunden bei deutscher (Bierzelt-)Musik vermehrt zu deutschen Weinen griffen, bei französischen Klängen jedoch eher zu Bordeaux und anderen französischen Weinen. 
Dies traf jedoch nur auf unentschlossene Kunden zu. Wer mit dem festen Vorsatz, einen deutschen Wein zu kaufen, in den Supermarkt kam, den stimmten auch keine französischen Chansons um.
Eine weitere Studie, durchgeführt von Nicolas Guéguen, zeigt, dass Produkte beim Hören von klassischer Musik als fertiger empfunden werden. Der Psychologe der Universität Bretagne-Sud in Lorient bekräftigt somit die Wirkung bestimmter Genres auf die Kaufentscheidung der Kunden.

Doch man kann den Kunden nicht nur über eine Assoziation mit Musik zu einem bestimmten Produkt lenken. Man kann auch seine Grundstimmung beeinflussen und ihn so dazu bringen, bestimmte Produkte zu wählen.
In der Studie von Di Muro und Murray aus dem Jahr 2012 wurden Probanden in Gruppen mehrere Varianten eines Mozartstückes vorgespielt. Danach sollten sie, neben ein paar Fragen zur Ablenkung, auch die Frage beantworten, ob sie lieber einen Energy Drink oder einen Eistee haben möchten. 
Das Stück von Mozart wurde in zwei Geschwindigkeiten (60 und 165 bpm), sowie in zwei Tonarten (D-Dur und D-Moll) jeweils einer Probandengruppe vorgespielt. 
Hieraus ergab sich, dass die Probandengruppe, welche das schnelle Dur-Stück hörte danach zu 71% den Energy Drink bevorzugte. Ähnliches war bei der Probandengruppe zu sehen, welche das langsame Moll-Stück zu hören bekamen. Hier fiel die Wahl bei 81% auf den Energy Drink.
Bei der Kontrollgruppe, die keine Musik zu Hören bekam, gab es keine eindeutige Wahl. 
Bei einer zweiten Befragung, bei der die Probanden nach dem Hören gewarnt wurden, dass die Musik evtl. Ihr Handeln beeinträchtigt, blieb eine eindeutige Wahl ebenfalls aus.

Die Studie zeigt, dass wenn ein Mensch in eine positive Grundstimmung versetzt wird, er genau die Produkte kauft, welches seine Stimmung unterstützt. Hat er jedoch eine negative Grundstimmung, so tendiert er eher zu Produkten die seine Stimmung zum positiven verändern können.
Diese Beeinflussung der Kaufentscheidung durch Musik funktioniert jedoch nur unbewusst, heißt, der Kunde darf nicht auf die Musik angesprochen werden.

In Zeiten des Online-Shoppings muss der Einzelhandel etwas bieten können, um das Wohlbefinden des Kunden sicherzustellen. Immerhin muss dieser seine Komfortzone Wohnung für einen Besuch im Laden aufgeben. 
Richtig eingesetzte Musik wirkt entspannend, erheiternd und hat einen starken Einfluss auf den Gemütszustand. Rund 60% der Kaufentscheidung fallen am Point of Sale. 33% völlig ungeplant. Durch gezielte Musikbeschallung an bestimmten Verkaufsständen können Entscheidungen von unentschlossenen Kunden zu gewünschten Produkten zu einem gewissen Maß gesteuert werden. Dies alles kann sich, wenn richtig ausgeführt, positiv auf den Umsatz, die Glaubwürdigkeit und auf das Markenimage auswirken.

Um den gewünschten Effekt zu erzielen, muss die Beschallung vorher allerdings sehr genau geplant werden. Zu allererst muss die Musik zur jeweiligen Zielgruppe passen. Hier ist auch wichtig, welche Musik die Zielgruppe gewohnt ist, damit sie sich im Laden wohl fühlt.
Des Weiteren muss vorher festgestellt werden, welches Image mit der Musik unterstrichen werden soll und ob der Kunde die Musik am Point of Sale nachvollziehen kann.

Je besser diese Planung ist, gepaart mit einer guten Klangqualität und Beschallungsanlage, desto näher kommt man den oben beschriebenen Vorzügen von Musik im Verkauf.

Mark Sellmann

Gesellschafter/Geschäftsführer

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